Zugegeben, am Anfang war ich skeptisch: Ich fand das Buch per Zufall, das Cover lud jedoch sehr dezidiert zum Lesen ein. Ich war auf der Suche nach einem Ferienbuch, etwas, das für Strand und Berg taugt. Etwas, was sich leicht lesen lässt und auch mal eine Weile Unaufmerksamkeit verzeiht. Doch ein Buch zu lesen, das nur aus Karten besteht? Das erschien mir dann doch allzu mutlos.
Meine Haltung änderte sich dann überraschend rasch. Denn im Titel machen die Autoren ein steiles Versprechen, das sie in meinem Fall aber wirklich einzulösen vermochten: «100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern». Nach der Lektüre war meine Sicht auf die Welt tatsächlich eine andere.
Mir gefiel das Schmökern in den Karten tatsächlich mit jeder Darstellung mehr. Ich teile an dieser Stelle gerne meine fünf liebsten Karten und Darstellungen:
- Erst schien mir die Idee, alle Leuchttürme in ganz Europa zu verzeichnen, etwas skurril. Mit der Darstellung werden die Küsten des dunklen Kontinents nämlich von gelben Lichttupfern erhellt. Doch schnell wird klar: Spannend sind nicht die Leuchtfeuer am Meer, sondern diejenigen, die es mitten im Kontinent hat. Etwa am Genfer- oder am Bodensee. Dass es dort solche gibt, war mir tatsächlich nicht bewusst.
- Etwas anders war die Darstellung gelagert, die mir in einem Mal sehr viel über das Brexit-Dilemma der Briten gezeigt hat. Der Titel lautet einfach: «England ungleich Grossbritannien ungleich Vereinigtes Königreich». Die drei Begriffe verwenden viele als Synonyme. Dabei betreffen alle eine andere Zusammensetzung der Britischen Inseln. Wichtig zu sehen, wie Nordirland halt eben zum Vereinigten Königreich gehört und damit bei einem Brexit plötzlich direkt an EU-Gebiet grenzen würde. Kein Wunder, ist das Problem dieser Grenze zu einem Knackpunkt in den Verhandlungen zwischen London und Brüssel geworden.
- Neben den Verzeichnissen der Reisen von Kant und Hemingway, die beide in unterschiedlichen Epochen weit reisten und trotzdem kaum ähnlich weit herumkamen, haben es mir die Sprachkarten im deutschen Sprachraum angetan: Etwa diejenige, die klar zeigt, wo die Semikolon-Strich-Punkt-Grenze verläuft. Oder ab welcher Breite der Schuhbändel zum Schnürsenkel wird. Oder wo wer Brezel und Berliner sagt. Manchmal verlaufen solche Grenzen sogar mitten durch die Schweiz: Etwa, wenn es um «der» oder «die» Butter geht.
- Spannend ist auch die Aufzeichnung, wo man als Mensch am ältesten werden kann. Die Schweiz gehört hier zu den Top-Orten, neben Japan, Island, Italien, Schweden und Israel.
- Rechtzeitig zum 50-Jahr-Jubiläum des ersten Mondflugs des Menschen listet eine Grafik alle europäischen Raumfahrer auf. Unter ihnen befindet sich unser Landsmann Claude Nicollier. Schon fast vergessen hatte ich, dass der erste Deutsche kein Astro- sondern ein Kosmonaut war. Denn die DDR durfte schon 1978 Sigmund Jähn mit dem Raumprogramm der Sowjetunion ins All schicken. Ulf Merbold, der erste Westdeutsche, schaffte es dann erst 1983 in den Weltraum – an Bord eines US-amerikanischen Space Shuttle.
Ob Strand oder Berg, wer Lust auf eine anregende Lektüre und zusätzlichen Perspektivenwechsel in den Ferien hat, sollte dieses Buch unbedingt einpacken.