Sarah Tschudin Sutter konnte mit ihrem Team zeigen, dass die Händedesinfektion im Ergebnis verbessert werden kann, wenn sie mit einer Technik erfolgt, die nur aus 3 Schritten besteht. Die WHO liess sich darüber schon informieren. (Foto: zvg)
Gemäss der Heilmittelbehörde Swissmedic ist die Hygiene in den Spitälern mangelhaft. Spitalhygiene ist einer Ihrer Forschungsschwerpunkte. Überrascht Sie der Befund?
Sarah Tschudin Sutter: Im internationalen Vergleich ist der Hygienestandard in den Schweizer Spitälern zwar hoch. Wenn man aber genau hinschaut, findet man in gewissen Bereichen durchaus Mängel.
Zum Beispiel fehlte es in der Hälfte der untersuchten Spitäler an einem korrekten Reinigungs- und Desinfektionsprozess.
Tschudin Sutter: Auch da gibt es verschiedene Bereiche; im Bericht von Swissmedic geht es um die Aufbereitung von Medizinprodukten. Eine weitere Herausforderung für die Spitäler ist die Reinigung und Desinfektion von Patientenzimmern. Meine Forschung befasst sich mit der Händedesinfektion, was wieder etwas anderes ist.
Sie kamen zum Schluss, dass einfachere Methoden, als sie zurzeit vorgeschrieben sind, zu einem gleich guten Resultat führen. Ist das Bessere der Feind des Guten?
Tschudin Sutter: Sicher braucht es konstante Bemühungen, damit das Spitalpersonal die Empfehlungen zur Händedesinfektion auch umsetzt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt sechs Schritte, wie ein Desinfektionsmittel richtig eingerieben werden sollte, um sicherzustellen, dass die Hände vollständig benetzt sind. Im Spitalalltag ist es aber neben all den anderen Belastungen sehr schwierig, immer an sechs Schritte zu denken. Die wenigsten können sich diese überhaupt merken. Also haben wir uns gefragt, ob eine einfachere Methode nicht zielführender wäre, und konnten tatsächlich zeigen, dass die Händedesinfektion im Ergebnis verbessert werden kann, wenn sie mit einer Technik erfolgt, die nur aus 3 Schritten besteht.
Passt die WHO deswegen ihre Empfehlungen an?
Tschudin Sutter: Wir haben die Möglichkeit bekommen, unsere Resultate mit der WHO zu diskutieren, und sie sind auf Interesse gestossen. Momentan gibt es allerdings erst eine einzige Studie, welche diese Methode auch klinisch testen konnte. Damit die WHO ihre Empfehlungen anpasst, braucht es noch weitere Studien, die unseren Befund bestätigen.
Sie gehörten der Covid-Taskforce an und jetzt auch dem Nachfolgegremium von 14 Forschenden, die den Bund beraten. Tun Sie das auch punkto richtige Händedesinfektion?
Tschudin Sutter: Die Optimierung des Hygienestandards in Spitälern gehört nicht zu den Aufgaben dieses Expertengremiums. Wie schon bei der Taskforce geht es um Fragen, die speziell zu Covid bestehen, etwa um neue Virusvarianten.
An der Covid-Front herrscht momentan Ruhe?
Tschudin Sutter: Ja, momentan sind wir wirklich in einer günstigen Situation, welche keine zusätzlichen Massnahmen oder Strategien auf nationaler Ebene erforderlich macht. Das Virus zirkuliert zwar weiterhin, und wir sehen noch immer Patienten oder Patientinnen mit Covid in den Spitälern, aber in sehr viel geringerem Ausmass als noch vor einem Jahr.
Ihr zweiter Forschungsschwerpunkt sind Keime, die gegen mehrere Antibiotika resistent sind. Das Problem nimmt weltweit zu, viele Menschen sterben deswegen. Liegt das ebenfalls an der Spitalhygiene?
Tschudin Sutter: Tatsächlich kann ein wesentlicher Teil der antibiotikaresistenten Bakterien, wenn auch nicht alle, unter anderem auch in den Spitälern übertragen werden. Dort kann man versuchen, die Verbreitung durch spitalhygienische Massnahmen zu bremsen.
Ihre Forschung lässt aber den Schluss zu, dass die Spitäler nicht einfach schuld an der Verbreitung dieser Keime sind, wie man lange geglaubt hatte.
Tschudin Sutter: Man muss es differenziert betrachten. Es gibt zunehmend Bestrebungen, bei der Verbreitung antibiotikaresistenter Bakterien das One-Health-Konzept beizuziehen, das von einem engen Zusammenhang der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ausgeht. In der Masttierhaltung – und damit der Lebensmittelindustrie – werden sehr viele Antibiotika verbraucht. Zudem verbreiten sich antibiotikaresistente Bakterien auch ausserhalb des Spitals. Es gibt beispielsweise Daten, die zeigen, dass Reisende aus Südostasien kolonisiert mit antibiotikaresistenten Bakterien zurückkehren. Die Spitäler spielen sicher eine Rolle. Man kann aber nicht sagen, es sei einfach ihr Problem.
Sie haben Abwasserproben im Raum Basel untersucht und Hinweise gefunden, dass sich bestimmte Keime in erster Linie ausserhalb der Spitäler ausbreiten. Die Spitäler wären somit nicht Täter, wie man lange glaubte, sondern Opfer?
Tschudin Sutter: Wir sind immer noch am Auswerten der Daten, konnten aber effektiv zeigen, dass eine spezielle Gruppe resistenter Keime in der Bevölkerung weit verbreitet sein muss. Wir haben in der ganzen Stadt Abwasserproben gesammelt und darin einen so hohen Gehalt an diesen Bakterien gefunden, dass wir daraus diesen Schluss ziehen müssen. Denn das Abwasser reflektiert, was in der Bevölkerung passiert. Das bedeutet, dass viele Patienten schon mit den Bakterien ins Spital kommen, und nicht erst dort damit in Kontakt kommen. Nichtsdestotrotz müssen wir in den Spitälern dafür sorgen, dass es dort nicht zu weiteren Übertragungen kommt.
Sie haben nicht die als Spitalkeime berüchtigten MRSA-Staphylokokken untersucht, sondern ESBL-bildende Enterobakterien. Wo liegt bei diesen das Problem?
Tschudin Sutter: Das sind Bakterien, die im Darm leben. Sie machen uns vor allem Sorgen, weil sie Harnwegsinfektionen auslösen können, aber auch Wundinfektionen nach Operationen oder eine Lungenentzündung, die man im Spital erwerben kann. Sie können ein ganzes Spektrum verschiedenster Infektionen verursachen.
Werden sie anders übertragen als die MRSA?
Tschudin Sutter: Am Anfang ortete man das Problem bei den MRSA tatsächlich in den Spitälern. Inzwischen gibt es aber viele Daten, die zeigen, dass der grösste Teil der Übertragung ausserhalb stattfindet. Das liegt auch an den Massnahmen, die in den Spitälern getroffen wurden, um die Übertragung zu verhindern. Es gibt viele Unterschiede zwischen den Verbreitungswegen der einzelnen Bakterien mit Antibiotikaresistenzen, auch bei den von uns untersuchten. Einige sind in der Bevölkerung weit verbreitet, bei anderen sehen wir, dass die Spitäler eine wichtige Rolle spielen. Es ist nicht für jedes antibiotikaresistente Bakterium gleich.
Muss man deswegen auch Tier und Umwelt mit einbeziehen, um die Verbreitung der Antibiotikaresistenzen einzudämmen?
Tschudin Sutter: Richtig. Seit einigen Jahren versteht man immer besser, dass man unterschiedliche Reservoirs und Übertragungswege berücksichtigen muss, wenn man das Ganze verstehen will. Das beginnt mit der Masttierhaltung, in der viele Antibiotika eingesetzt werden, gerade auch international. Es gibt aber auch die Verbreitung über Wasserwege. Was passiert beispielsweise mit der Landwirtschaft in jenen Ländern, in denen stark gedüngt wird? Auf diesem Weg können antibiotikaresistente Bakterien in die Böden gelangen, über Wasserwege weiterkommen und in unseren Gewässern landen. Es gibt ein komplexes Netzwerk möglicher Übertragungswege.
Wirkt sich der Medikamentenmangel auf die Ausbreitung der Antibiotikaresistenzen aus?
Tschudin Sutter: Ich denke schon. Oft mangelt es an Antibiotika, die nur gegen ein schmales Erreger-Spektrum wirken. Wenn die fehlen, müssen wir in den Spitälern auf andere Antibiotika ausweichen, deren Spektrum breiter ist. Je breiter aber das Spektrum der verwendeten Antibiotika, desto stärker werden Resistenzen begünstigt.
Welche Forschungsprojekte möchten Sie in nächster Zeit angehen?
Tschudin Sutter: Wir sind immer noch daran, die Antibiotikaresistenzen im Rahmen des Abwasserprojekts der Stadt Basel aufzuarbeiten, bei dem wir das Genom sehr vieler Bakterien analysiert haben. Was ich spannend finde: Die von uns untersuchte Bakterienart kann Resistenzmechanismen auch untereinander verbreiten. Das heisst, ein antibiotikaempfindliches Bakterium kann durch direkten Kontakt mit einem antibiotikaresistenten Bakterium resistent werden. Das versuchen wir, besser zu verstehen.
Welche Erkenntnisse gewinnen Sie daraus?
Tschudin Sutter: Wir sehen, dass Bakterien unheimlich raffiniert sind, wenn es darum geht, sich gegen Antibiotika zu wehren und Resistenzen untereinander zu verbreiten. Und dass beispielsweise wichtige Bakterien, die beim Menschen Krankheiten hervorrufen, mit denen wir in den Spitälern kämpfen, ihre Resistenzmechanismen letztlich von Umweltbakterien erworben haben. Da findet ein sehr dynamischer Austausch statt.
Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus?
Tschudin Sutter: In erster Linie arbeite ich im Spital und entwickle Richtlinien und Strategien in den Bereichen Spitalhygiene, Infektionsprävention und -kontrolle. Daneben bin ich als Infektiologin in der Patientenbetreuung involviert. Die Wissenschaft geht damit sozusagen Hand in Hand. Mein Job ist also sehr vielseitig.
Sie nehmen an Arztvisiten teil, schauen mit der Spitalleitung, wie sie die Hygiene verbessern kann, und forschen daneben im Labor?
Tschudin Sutter: Meine Forschung findet weniger im Labor statt, sondern eher am Schreibtisch. Als Infektiologin und Epidemiologin beschäftige ich mich primär mit der Aufarbeitung von Daten.
Das klingt nicht nach einem Nine-to-five-Job. Finden Sie daneben Zeit für Familie, Freunde und vielleicht sogar Hobbys?
Tschudin Sutter: Die Freizeitgestaltung ist tatsächlich immer etwas anspruchsvoll, zumal mein Mann ebenfalls als Arzt arbeitet, auf der Intensivstation. Wenn wir aber gemeinsame Zeit haben, dann verbringen wir sie gerne mit gutem Essen oder Reisen. Ein klassisches Hobby habe ich nicht.
Sarah Tschudin Sutter (46) hat sich nach ihrem Medizinstudium zuerst zur Fachärztin Innere Medizin und anschliessend zur Infektiologin weitergebildet. 2011 ging sie als Postdoc mit einem Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds für zwei Jahre an das renommierte The Johns Hopkins Hospital in Baltimore, wo sie gleichzeitig einen Master in Epidemiologie erwarb. Heute leitet sie die Spitalhygiene des Universitätsspitals Basel und unterrichtet an der Universität als Professorin für Infektionsepidemiologie. Tschudin Sutter lebt mit ihrem Mann, einem Intensivmediziner und Neurologen, in Basel.