
Das Buch von Joseph Jung. (Bild: ZVG)
Manchmal reibt man sich verwundert die Augen. Wie kommt es, dass aus einem Land von gut 41'000 Quadratkilometern ohne natürliche Rohstoffe (ausser Wasser) und ohne Zugang zum Meer eine Wirtschaftsmacht wurde? Ein Land, das zu den reichsten, kompetitivsten und innovativsten Ländern der Welt zählt? Als nüchterne Schweizerin und nüchterner Schweizer staunt man ebenso wie als Tourist, als Akademikerin, als Geschäftsfrau oder als Politiker.
Wer sich näher mit den Hintergründen dieses «Schweizer Wunders» befassen will, sollte unbedingt das Buch von Joseph Jung «Das Laboratorium des Fortschritts – die Schweiz im 19. Jahrhundert» lesen. Der Historiker, Biograph von Alfred Escher und Verfasser zahlreicher grundlegender Publikationen zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte der Schweiz taucht ein ins faszinierende 19. Jahrhundert, in dem die Ursprünge dieser Erfolgsgeschichte liegen.
Berge, Eisenbahn, Fabriken und Tourismus
Jung beginnt mit den Alpen, einem Mythos, der seit jeher die Bewohnerinnen und Bewohner des Landes fasziniert. Sie haben vieles initiiert: den Tourismus, die Luxushotellerie, die Bergbahnen, den Alpinismus, aber auch Kunst, Literatur und Werbung. Schweizer Unternehmen, namentlich aus der Finanzwelt, brüsten sich gerne mit Bergen: «Wir sind so zuverlässig und solide wie das Matterhorn». Über die Berge und ihre Pässe ging der Handel zwischen Norden und Süden, und dank Alfred Escher und des Baus seines Lebenswerks, des Gotthardtunnels, ab dem 19. Jahrhundert durch die Berge.
Entlang dieser neuen Eisenbahn-Transversale sowie darum herum entstanden ganz viele neue Systeme, die sich miteinander verbanden. Neue Universitäten (allen voran die Eidgenössische Technische Hochschule), Fabriken, Handelshäuser, Banken sowie ein Bundesstaat mit einer neuen Verfassung wurden gegründet. Leute zogen weg nach Amerika oder sonst wohin; Unternehmer, Handwerker, Akademiker und Architekten des Wohlstands kamen in die Schweiz, befruchteten und inspirierten die Einheimischen und trugen gemeinsam dazu bei, dass die Erfolgsgeschichte Schweiz überhaupt entstehen konnte.
Unternehmerische Initiative, Innovationen und Zufälle
Es gelingt Jung, dieses lebendige Laboratorium des 19. Jahrhunderts anschaulich zu beschreiben. Die Geschichte der Wirtschaftsmacht Schweiz verlief nicht geradlinig. Vielmehr waren es zahlreiche unternehmerische Initiativen, Innovationen sowie Zufälle in den verschiedenen Regionen der Schweiz, die sich miteinander verknüpften und so zum Fortschritt beitrugen. Davon erzählt das exzellente Buch, das mit zahlreichen Bildern hervorragend illustriert ist.
Joseph Jung: «Das Laboratorium des Fortschritts – die Schweiz im 19. Jahrhundert. NZZ Libro, Zürich 2019.